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Trennung der Variablen (Separation of Variables)

Wir betrachten die Methode der Trennung der Variablen und stellen einige relevante Beispiele vor.

Trennung der Variablen (Separation of Variables)

Separierbare Gleichung (separable equation): Eine Gleichung, die durch algebraische Manipulation in die Form $g(y)y’=f(x)$ gebracht werden kann.

Wenn wir beide Seiten der separierbaren Gleichung $g(y)y’=f(x)$ in Bezug auf $x$ integrieren, erhalten wir

\[\int g(y)y'dx = \int f(x)dx + c\]

und da $y’dx=dy$, erhalten wir

\[\int g(y)dy = \int f(x)dx + c\]

wodurch wir den Ausdruck in Bezug auf die Variable $x$ und den Ausdruck in Bezug auf $y$ jeweils auf die rechte und linke Seite trennen können. Wenn $f$ und $g$ stetige Funktionen sind, können wir diese Integrale berechnen, um die allgemeine Lösung der gegebenen Differentialgleichung zu erhalten. Diese Lösungsmethode wird Trennung der Variablen (separation of variables) genannt.

Modellierungsbeispiel: Radiokohlenstoffdatierung (Radiocarbon Dating)

Ötzi ist eine neolithische Mumie, die 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde. Wenn das Verhältnis von Kohlenstoff-14 zu Kohlenstoff-12 in dieser Mumie 52,5% des Verhältnisses in lebenden Organismen beträgt, wann ungefähr lebte und starb Ötzi?

In der Atmosphäre und in lebenden Organismen ist das Verhältnis von radioaktivem Kohlenstoff-14 zu Kohlenstoff-12 konstant. Wenn ein Organismus stirbt, hört die Aufnahme von Kohlenstoff-14 durch Atmung und Nahrung auf, aber der Zerfall von Kohlenstoff-14 setzt sich fort, wodurch der Anteil des radioaktiven Kohlenstoffs abnimmt. Daher kann man das Alter eines Fossils schätzen, indem man den Anteil des radioaktiven Kohlenstoffs im Fossil mit dem in der Atmosphäre vergleicht. Die Halbwertszeit von Kohlenstoff-14 beträgt 5715 Jahre.

Lösung

Wenn wir die gewöhnliche Differentialgleichung $y’=ky$ separieren und integrieren, erhalten wir

\[\frac {dy}{y}=k dt\] \[\log |y|=kt+c\] \[y=y_{0}e^{kt}\ (y_0=e^c)\]

Um die Konstante $k$ zu bestimmen, verwenden wir die Halbwertszeit $H=5715$.

\[y_{0}e^{kH}=0.5y_0\] \[e^{kH}=0.5\] \[k=\frac {\log 0.5}{H}=-\frac {0.693}{5715}=-0.0001213.\]

Schließlich setzen wir das Verhältnis von 52,5% ein, um die Zeit $t$ zu bestimmen, zu der Ötzi starb

\[e^{kt}=e^{-.0.0001213t}=0.525\] \[t=\frac {\log 0.525}{-0.0001213}=5312.\] \[\therefore \text{Vor etwa 5300 Jahren}.\]

Modellierungsbeispiel: Mischungsproblem

Anfänglich enthält ein Tank 1000L Wasser, in dem 10kg Salz gelöst sind. Salzwasser fließt mit einer Rate von 10L pro Minute in den Tank, wobei dieses Salzwasser 0,2kg Salz pro Liter enthält. Die Mischung im Tank wird gut umgerührt und bleibt gleichmäßig, und dieses Salzwasser fließt mit einer Rate von 10L pro Minute aus. Bestimmen Sie die Menge des Salzes $y(t)$ im Tank zur Zeit $t$.

1. Modellaufstellung

\[y'=\text{Zuflussrate} - \text{Abflussrate}.\]

Die Zuflussrate des Salzes beträgt 2kg pro Minute. Die Abflussrate des Salzwassers beträgt 0,01 des Gesamtvolumens des Salzwassers pro Minute, daher ist die Abflussrate des Salzes $0.01 y(t)$ pro Minute. Daher ist das Modell die gewöhnliche Differentialgleichung

\[y'=2-0.01y=-0.01(y-200)\]

2. Lösung des Modells

Die zuvor aufgestellte gewöhnliche Differentialgleichung ist separierbar. Trennen wir die Variablen, integrieren und wenden dann die Exponentialfunktion auf beide Seiten an.

\[\frac {dy}{y-200}=-0.01 dt\] \[\log |y-200| = -0.01t+c^*\] \[y-200=ce^{-0.01t}.\]

Anfänglich beträgt die Salzmenge im Tank 10kg, daher ist die Anfangsbedingung $y(0)=10$. Wenn wir $y=10,\ t=0$ in die obige Gleichung einsetzen, erhalten wir $10-200=ce^0=c$, daher ist $c=-190$.

\[\therefore y(t)=200-190e^{-0.01t}\]

Das bedeutet, dass in der gegebenen Situation die Salzmenge im Tank exponentiell gegen 200kg konvergiert.

Modellierungsbeispiel: Newtonsches Abkühlungsgesetz (Newton’s Law of Cooling)

In einem Bürogebäude wird die Temperatur während des Tages im Winter bei 20°C gehalten. Die Heizung wird um 22 Uhr ausgeschaltet und um 6 Uhr morgens wieder eingeschaltet. An einem bestimmten Tag betrug die Innentemperatur des Gebäudes um 2 Uhr morgens 17,4°C. Die Außentemperatur betrug um 22 Uhr 10°C und fiel bis 6 Uhr morgens auf 4°C. Wie hoch war die Innentemperatur des Gebäudes, als die Heizung um 6 Uhr morgens eingeschaltet wurde?

Newtonsches Abkühlungsgesetz (Newton’s law of cooling)
Die Änderungsrate der Temperatur T eines Objekts in Bezug auf die Zeit ist proportional zur Temperaturdifferenz zwischen dem Objekt und seiner Umgebung

1. Modellaufstellung

Sei $T(t)$ die Innentemperatur des Gebäudes und $T_A$ die Außentemperatur. Dann gilt nach dem Newtonschen Abkühlungsgesetz

\[\frac {dT}{dt}=k(T-T_A)\]

2. Allgemeine Lösung

Da wir nur wissen, dass $T_A$ zwischen 10°C und 4°C variiert, aber nicht genau wissen, welchen Wert es annimmt, können wir die zuvor aufgestellte Gleichung nicht lösen. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, die Situation zu vereinfachen und eine einfachere Problemstellung zu versuchen. Der Durchschnitt der beiden bekannten Werte beträgt 7°C, also nehmen wir an, dass die unbekannte Funktion $T_A$ eine Konstante $T_A=7$ ist. Auch wenn es nicht genau ist, können wir erwarten, einen Näherungswert für die gesuchte Innentemperatur $T$ des Gebäudes um 6 Uhr morgens zu erhalten.

Für die Konstante $T_A=7$ ist die zuvor aufgestellte gewöhnliche Differentialgleichung separierbar. Durch Trennung der Variablen, Integration und Anwendung der Exponentialfunktion können wir die allgemeine Lösung erhalten.

\[\frac {dT}{T-7}=k dt\] \[\log |T-7|=kt+c^*\] \[T(t)=7+ce^{kt} \quad(c=e^{c^*}).\]

3. Spezielle Lösung

Wählen wir 22 Uhr als $t=0$, dann ist die gegebene Anfangsbedingung $T(0)=20$. Nennen wir die daraus resultierende spezielle Lösung $T_p$. Durch Einsetzen erhalten wir

\[T(0)=7+ce^0=20\] \[c=20-7=13\] \[T_p(t)=7+13e^{kt}.\]

4. Bestimmung von $k$

Um 2 Uhr morgens betrug die Innentemperatur des Gebäudes 17,4°C, also gilt $T(4)=17.4$. Wenn wir den Wert von $k$ algebraisch bestimmen und in $T_p(t)$ einsetzen, erhalten wir

\[T_p(4)=7+13e^{4k}=17.4\] \[e^{4k}=0.8\] \[k=\frac {1}{4} \log 0.8=-0.056\] \[T_p(t)=7+13e^{-0.056t}.\]

5. Antwort und Interpretation

6 Uhr morgens entspricht $t=8$, daher

\[T_p(8)=7+13e^{-0.056\cdot8}=15.3\text{[°C]}.\]

Modellierungsbeispiel: Torricellisches Theorem (Torricelli’s Theorem)

Ein Tank hat einen Durchmesser von 2m und ein Loch mit einem Durchmesser von 1cm. Die anfängliche Wasserhöhe beim Öffnen des Lochs beträgt 2,25m. Bestimmen Sie die Wasserhöhe im Tank zu einem beliebigen Zeitpunkt und die Zeit, die benötigt wird, bis der Tank leer ist.

Torricellisches Theorem (Torricelli’s theorem)
Die Geschwindigkeit des unter dem Einfluss der Schwerkraft austretenden Wassers ist

\[v(t)=0.600\sqrt{2gh(t)}.\]

$h(t)$: Wasserhöhe über dem Loch zum Zeitpunkt $t$ $g=980\text{cm/s²}$: Erdbeschleunigung an der Erdoberfläche

1. Modellaufstellung

Das Ausflusvolumen $\Delta V$ während einer kurzen Zeit $\Delta t$ ist

\[\Delta V = Av\Delta t \qquad (A: \text{Fläche des Lochs})\]

$\Delta V$ muss gleich der Änderung des Wasservolumens $\Delta V^*$ im Tank sein. Außerdem gilt

\[\Delta V^* = -B\Delta h \qquad (B: \text{Querschnittsfläche des Tanks})\]

wobei $\Delta h(>0)$ die Abnahme der Wasserhöhe $h(t)$ ist. Wenn wir $\Delta V$ und $\Delta V^*$ gleichsetzen, erhalten wir

\[-B\Delta h = Av\Delta t\]

Wenn wir nun $v$ gemäß dem Torricellischen Theorem ausdrücken und $\Delta t$ gegen 0 gehen lassen, erhalten wir das folgende Modell in Form einer gewöhnlichen Differentialgleichung erster Ordnung:

\[\frac {\Delta h}{\Delta t} = -\frac {A}{B}v = -\frac{A}{B}0.600\sqrt{2gh(t)}\] \[\frac {dh}{dt} = \lim_{t\to0}\frac {\Delta h}{\Delta t} = -26.56\frac {A}{B}\sqrt{h}.\]

2. Allgemeine Lösung

Diese gewöhnliche Differentialgleichung ist separierbar. Durch Trennung der Variablen und Integration erhalten wir

\[\frac {dh}{\sqrt{h}} = -26.56\frac{A}{B}dt\] \[2\sqrt{h} = c^* - 26.56\frac{A}{B}t\]

Wenn wir beide Seiten durch 2 teilen und quadrieren, erhalten wir $h=(c-13.28At/B)^2$. Setzen wir $13.28A/B=13.28 \cdot 0.5^2 \pi /100^2 \pi = 0.000332$ ein, erhalten wir die allgemeine Lösung

\[h(t)=(c-0.000332t)^2\]

3. Spezielle Lösung

Die Anfangsbedingung ist $h(0)=225\text{cm}$. Wenn wir $t=0$ und $h=225$ in die allgemeine Lösung einsetzen, erhalten wir $c^2=225, c=15.00$, und damit die spezielle Lösung

\[h_p(t)=(15.00-0.000332t)^2\]

4. Zeit bis zur Entleerung des Tanks

\[t = 15.00/0.000332 = 45181 \text{[s]} = 12.6 \text{[h]}.\]

Umwandlung in separierbare Form (separable form)

In einigen Fällen können nicht separierbare gewöhnliche Differentialgleichungen durch die Einführung einer neuen unbekannten Funktion von $y$ in eine separierbare Form umgewandelt werden.

\[y'=f\left(\frac {y}{x}\right).\]

Um eine solche gewöhnliche Differentialgleichung zu lösen, setzen wir $y/x=u$, dann gilt

\[y=ux,\quad y'=u'x+u\]

Wenn wir dies in $y’=f(y/x)$ einsetzen, erhalten wir $u’x=f(u)-u$. Wenn $f(u)-u\neq0$, dann erhalten wir die separierte Form

\[\frac {du}{f(u)-u}=\frac {dx}{x}.\]
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